Zum dritten Mal “Literatur uneingeschränkt 25”, der inklusive Poetry Slam, der nur Sieger und Siegerinnen kennt. Krieg und Frieden: Für sie ist kein Thema zu schwer.
Das Mikrofon? Ach woher. Devin möchte es nicht, nimmt uns so auf seine Fahrt in der U9 nach Gonzenheim mit, die auf einmal stehen bleibt: Stromstörung. Devin sagt, er wolle U-Bahnfahrer werden, habe mal bei der U-Bahn ein Praktikum gemacht. Es muss ihm gefallen haben. Devin ist der größte bekennende Zug-Fan der Welt. „Im Zug“ heißt denn auch sein Gedicht. Die nächsten drei Zeilen sind ganz schlicht, lauten: „Im Krieg wird jeden Tag der Strom ausgeschaltet. Die Türen bleiben zu. Ich kann doch nicht nachhause: Angst“. Da bleibt nichts mehr zu sagen.
Selbstbewusst steht Devin auf der Bühne. „Tausend Dank, Devin.“ „Aber gerne doch.“ Bei aller Coolness – sogar er lächelt dieses frohe und zugleich stolze Lächeln der Erleichterung, wenn alles vorbei ist. Aufgeregt? Und wie! Man spürt es. Dabei machen sie es alle großartig. Ob Devin oder Mira, ob Nashat oder Sara oder die anderen Schülerinnen und Schüler mit und ohne Förderbedarf, die an diesem frühen Abend im großen Saal der Evangelischen Akademie in Frankfurt ihre Gedichte vortragen. Sie handeln von einem schweren, einem großen Thema: Krieg und Frieden.
Die jungen Poeten und Poetinnen greifen damit den thematischen Schwerpunkt auf, den sich die Polytechnische Gesellschaft in diesem Jahr gesetzt hat. Ihr Auftritt vor einem Publikum aus Lehrkräften, Eltern und Mitschülern ist nicht nur der Abschluss, sondern vor allem die Krönung des diesjährigen Projektes „Literatur uneingeschränkt“. Es existiert seit 2023, hat die Unterstützung der Polytechnischen Gesellschaft (PTG), wurde von deren Arbeitskreis „Inklusion“ und da vor allem von Franziska Deliry initiiert.
Franziska Deliry, ihres Zeichens Lehrerin und Inklusionsbeauftragte an der Wöhlerschule, moderiert nun schon zum dritten Mal die Abschlussveranstaltung des Projekts, des inklusiven Poetry Slam, bei dem es nur Sieger und Siegerinnen gibt. Auch jetzt wieder.
Mit auf der Bühne zwei Gebärdendolmetscherinnen, sie haben ordentlich zu tun, und Poetry Slammer Florian Cieslik, der künstlerische Leiter und ruhende Pol. Er hat die gemischte Nachwuchs-Dichterschar seit März an berühmte Gedichte über Krieg und Frieden herangeführt von Autoren und Autorinnen wie Opitz, Lasker-Schüler, Gryphius, Jandl und Celan. Wieder mit von der Partie die Wöhlerschule, ein Gymnasium, die Schule am Sommerhoffpark, die den Förderschwerpunkt Hören hat, und die Beruflichen Schulen Berta Jourdan.
Hernach wurde in der inklusiven Literaturwerkstatt gedichtet. Das Ergebnis präsentieren ihre Mitglieder nun: scharfsinnige und tiefgründige Texte, die von Beobachtungsgabe zeugen und Selbsterkenntnis, die den Krieg im Großen geißeln, aber auch im Kleinen wie den Streit mit dem Cousin.
Ela hat das beschrieben:
„Wenn ich mit meinem Cousin streite,
Bleiben wir ruhig.
Wir kickboxen und lachen dabei.
Aber wir sind sauer auf uns.“
Weltpolitiker machen es nicht anders. Wie seine Literaturwerkstatt funktioniert? Es sei kein Hexenwerk, sagt Florian Cieslik, der auf der Bühne die Klassiker liest. Sie spielten Ping Pong mit den Impulsen, also hin und her mit ihnen, kletterten auf der Leiter der Impulse hinauf, „bis ich die Stützräder wegnehmen kann.“
Sara braucht definitiv keine Stützräder, ist schon das zweite Mal dabei, läuft wie ein Profi von der Empore durch den Mittelgang zur Bühne und zieht dabei über die Kriegslüsternheit von Männern her. Seien es die Jungs aus ihrer Klasse und ihre Sucht nach Kriegsspielen („Töte den, stehle von ihm, verfeinde dich mit denen“) oder sei es „Mr. President“ am Schreibtisch. Der ist auch nur einer von den Jungs. „Krieg: Das männlichste, was ich jemals gesehen habe“. So überschreibt sie ihr Gedicht, um zu dem Schluss zu kommen.
Zum Glück bin ich ein Mädchen.
Ich weiß, es ist auch nicht immer so toll, wegen der ganzen Schmerzen und so,
aber merkt Euch Mädels:
Das Leben eines Trottels ist schmerzhafter.
Natürlich hat sie Lacher auf ihrer Seite und das schmunzelnde Bekenntnis des PTG-Präsidenten Volker Mosbrugger, dass er sich diesen Satz gemerkt habe. Es fallen viele merkenswerte und bemerkenswerte Sätze etwa der: „Alles, was zählt, sind die Kinder und die Tiere dieser Welt.“
Nashat trägt sein Gedicht in Gebärdensprache vor. „Weinen“ heißt es und spricht über das Leid von Krieg.
Viele Männer verabschieden sich von ihren Frauen und Freundinnen,
weil sie in den Krieg müssen.
……..
Sie müssen im Krieg töten. Andere Soldaten bringen die toten Soldaten nach Hause.
Die Frauen weinen.
Lena und Lisa wiederum geben eine Rap-Einlage, die beiden sind auch richtig gut.
Ich seh die News, schon wieder Krieg,
und ich frag mich, warum ist Frieden kein Sieg? …..
Ich wünsch mir ne Welt die ruhiger wird,
In der keiner den anderen mehr attackiert
Frieden fängt klein an, irgendwo im Raum,
vielleicht mit nem Lächeln kein großer Traum.
Jetzt klatscht in die Hände, wir wolln euch sehen,
ohne Krieg ist das Leben doch gleich angenehm.
Jede Hand zählt auch deine auch meine,
vielleicht wird dann aus der Angst irgendwann keine.
Aber nicht nur Lena und Lisa sind richtig gut. Alle sind es. Ihre Sehnsucht nach Frieden klingt an diesem Abend immer wieder an, anklagend laut und hoffend still. Oft gehen in der Evangelischen Akademie wedelnde Hände in die Höhe. Gebärdenapplaus. Drei Mal hintereinander „Literatur uneingeschränkt“ – fügte man die Texte zusammen, es käme ein ansehnlicher, gehaltvoller Gedichtband zustande. Will heißen: Schrankenlose Poesie für alle – das Klassenziel ist wieder erreicht. Es ruft nach mehr.
Cornelia von Wrangel